... über die Arbeit von Aldo Canins ...

 

Ikonen der Stille

Wie Aldo Canins auf seinen Bildern die Realität verwandelt

Wenn man mit den Augen von Aldo Canins durch die Landschaft fährt, erscheinen Häuser als geometrische Farbflächen, Strommasten als grafische Elemente, Bäume werden zu Kugeln, zu Reihen hoher Ellipsen. Der Horizont liegt hoch, die Landschaft erscheint weit und ist doch gerafft zu einem Teil, der repräsentativ für ein Ganzes zu stehen scheint. Still ist es auf diesen Bildern, kein Lüftchen rührt sich, ein Wiesenstück, ein Rapsfeld, ein Kirchturm, sonst nichts. Auch die Zeichnungen auf grobkörnigem Papier zeigen diese klar gegliederten, reduzierten Formen, Hausfassaden, Fensterkreuze, Innenräume, Licht- und Schattenflecke. Vorrangig aber sind es Landschaften, die Aldo Canins malt, meist die ebene, allenfalls leicht geschwungene Landschaft Niederbayerns, in der er nun seit fast 30 Jahren zuhause ist. In zehnjähriger Arbeit hat er in Vilsheim bei Landshut ein wunderschönes Schulhaus aus dem Jahr 1910 geduldig und einfühlsam saniert. In diesen Jahren entstanden fast keine Bilder, zum Malen blieb keine Zeit. Nur aus Phasen der Verzweiflung an dem Moloch von Haus gibt es einige wenige Arbeiten, Ablenkungen von Mörteleimer und Maurerkelle. Kaum einer im Dorf glaubte, dass das Projekt jemals zu einem Ende kommen würde. Doch Aldo und seine Frau haben es geschafft. Das ehemalige Schulhaus ist ein markantes Schmuckstück für das ganze Dorf geworden.

Das klingt nach ländlicher Idylle und ist doch weit davon entfernt. Genauso weit davon entfernt, wie seine Bilder, die Ruhe ausstrahlen, aber deswegen noch lange nicht beschaulich sind, die Natur zeigen, aber deswegen nicht unbedingt ländlich sind, die reduziert sind, aber keineswegs simpel.

Aldo Canins malt Ikonen der Stille. Der Mensch kam in seinen Bildern lange Zeit überhaupt nicht vor. Die Farben sind pudrig gedämpft, kühl, wie nebelverhangen, verschleiert, diesig, matt. Da ist der gebürtige Südtiroler, wohl auch durch seine Studienzeit am Isituto d’ arte in Florenz, in der Landschaft  der Toscana, ganz der mediterranen Delikatesse verfallen, die an die vornehm-zarten Farben der Aquarelle Antonio Calderaras erinnert.

Deswegen auch liebt Aldo Canins die Ebene zwischen Donau, Isar, Vils und

Inn, den Nebel, der Töne und Farben dämpft, die einfachen, schlichten Formen weiter Felder und Wiesen, die sich reduzieren lassen auf geometrische Linien und Flächen. Hoch liegende Horizonte, Felder, die aus der Tiefe in die Fläche klappen, gliedern die Bilder in subtil modulierte Farbflächen, deren Ränder unscharf ineinander greifen. Eine gelbe Fläche auf einer grünen Fläche ist eine monochrom geometrische gelbe Form auf einer monochrom grünen Form, doch ebenso ist es ein Rapsfeld zwischen grünen Wiesen. Die Bilder stehen auf der Kippe zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Raumtiefe und Flächigkeit. Sie sind überlegt gebaut, meist konstruiert in Anlehnung an die Idealverhältnisse des Goldenen Schnittes und sorgfältig vorbereitet anhand von Fotografien, mit denen Aldo Canins seine Motive sammelt. Raum wird durch die Wahl von Ausschnitt und Form auf das Wesentliche konzentriert und durch diffuses Streulicht endlos geweitet. Das macht das Unwirkliche der Bilder aus. Beherrschend aber ist das Gesetz der Harmonie. Bereits die Motivwahl zeigt die Bevorzugung geradliniger Formen und schnörkellose Schlichtheit. In Bleistiftzeichnungen werden die Motive geklärt, das heißt, weiter reduziert auf größte Wirksamkeit unter Weglassung aller geschwätzigen Details. Seine körnigen Zeichnungen werden in einem langen Arbeitsprozess entwickelt, in dem aus der Überlagerung von Schraffuren das Bild sich aus dem Hell-Dunkel herauskristallisiert. Sie können ein Hauch nur sein, der Grau in Grau die Raumverhältnisse ordnet, aber auch harte Hell-Dunkel-Kontraste formulieren. Banale Gegenstände wie eine Reihe von Neonröhren werden dann zu einem Zauber von Hell und Dunkel intensiviert, der das Bild selbst als Lichtquelle erscheinen lässt.

Caspar David Friedrich, Morandi, Monet, früher besonders auch Seurat sind Künstler, die Aldo Canins schätzt. Darin zeigt sich vor allem auch eine Verwandtschaft des Geistes: im Blick auf menschenleere Landschaften und in die Weite des Raums, in der Bevorzugung kühler Farbigkeit, im Bild von Natur und den Vorstellungen von Ästhetik und Vereinfachung der Form sind vergleichbare Kriterien zu finden. Erst in allerneuester Zeit gibt es wieder Menschen auf Canins’ Bildern. Immer nur eine Figur, nicht mehr, löst sich

zögernd aus dem Schleier der Farbe, zeigt sich am Ufer mit zarter Spiegelung im Wasser.

In ihrer Motivwahl, die die Sujets in der Natur und dem direkten Umfeld des Menschen sucht, und in ihrer pastelligen, weichen Farbgebung sind die Bilder sehr sinnlich. Unangenehmes, Hässliches wird ausgeklammert, doch kann man ihnen das nicht zu Vorwurf machen, denn ebenso klar ist, dass die Wirklichkeit dieser Bilder unerreichbar ist. Dem Lärm der Zeit setzen sie Ruhe entgegen, dem Materialismus Genügsamkeit, der Maßlosigkeit Proportion und Harmonie, ohne dabei der Harmoniesucht und der Schönfärberei zu verfallen.

Entsprechend der kontemplativen Haltung des Künstlers sind sie gemalte Stille, in der nichts geschieht, Momente der Konzentration, zeitlose Ausschnitte von Welt.

Canins’ Bilder weisen klassische Proportionen auf und eine noble Zurückhaltung der Formen und Farben. Er horcht in die Motive hinein und gibt uns die Bilder einer möglichen Schönheit, in die wir uns hineinversenken können. Deshalb sind solche Bilder auch heute nötig als Gegenbilder zu einer Welt, der diese Werte allmählich verloren zu gehen scheinen. Denn auch Zeiten, in denen Kunst wenig Platz zu haben scheint, bedürfen ihrer.

Deshalb auch wird das gemalt Bild, trotz gegenläufiger Tendenzen und häufiger Nachrufe, immer seine Berechtigung haben und auch die Schönheit wird immer eine zentrale Kategorie der Kunst bleiben. Denn die Schönheit des Bildes, die mit Ästhetizismus nichts zu tun hat, ist zeitlos. Aldo Canins’ Bilder machen es dem Betrachter leicht, diese Zeitlosigkeit in der Malerei zu entdecken.

INES KOHL

Aldo Canins erhielt 1997 den Kulturpreis der OBAG-Aktiengesellschaft. Der Text folgt in weiten Passagen der Laudatio, die zu diesem Anlass von der Autorin gehalten wurde.

 

Der Artikel wurde entnommen aus "Lichtung - Ostbayerisches Magazin" (erschienen April 1998 / 2).